Wenn man Wölfe finden will

Bücher

Jugendbuch
Von Hans Georg Thiemt und Hans Dieter Schreeb
Arena Verlag, ausgezeichnet mit ZDF-Jugendbuchpreis

50 Ziegenfelle verändern Philipps Leben. Unbedacht hat er, der als Schreiber in einer Gerberei arbeitet, dem schlitzohrigen Landstreicher Messer-Jakob einen Tipp gegeben. Am nächsten Morgen sind die Felle verschwunden, und Philipp gerät in Verdacht. Voller Panik flüchtet er zum Messer-Jakob, der nur von seinem berühmt-berüchtigten Freund, dem Schinderhannes, und dessen Bande erzählt. Diesen gefürchteten Gaunern, Räubern und Mördern wollen sich die beiden anschließen. Doch was für Philipp Gauch ein wirklicher Wunsch ist, vor allem Hoffnung aufs Überleben, ist für den Messer-Jakob nur ein Vorwand: Ständig vertröstet er den Jungen, heckt kleine Gaunereien aus und schlägt sich mehr schlecht als recht durch. Mit der Geschichte wird ein genaues Bild der Verhältnisse in den Rheinlanden zu Beginn des 19. Jahrhunderts gezeichnet – als das linke Rheinufer von Deutschland abgetrennt ist und in französische Departements aufgeteilt. Als Hintergrund für die spannende Erzählung dient die genaue Schilderung der Lebensumstände, Nöte und Sorgen der einfachen Leute, derer, die es zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht haben, und derer, die sich von der französischen Herrschaft eine bessere Zukunft erhoffen. Leseprobe: »An einem gewöhnlichen Werktag – draußen war neuer Schnee gefallen, aber im Haus war es angenehm warm, und die Tabakfrauen sangen bei der Arbeit -, da trat der Messer-Jakob ins Gauch’sche Haus ein. Abgerissen, in vielerlei Lumpen und Tücher gewickelt, vom langen Marsch ausgezehrt, die Augen ganz tief in den Höhlen und mit einem stachligen Bart geziert. Berta dachte, er sei einer der üblichen Bettler, die Tag für Tag anklopften. Unter ihnen waren viele, die früher ein kleines Amt versehen hatten. Seitdem immer mehr Franzosen aus allen Winkeln ihres Landes in die neuen Provinzen am Rhein kamen und den Deutschen die Posten wegschnappten, fanden sie nicht mehr ihr Auskommen. Die Schwachen wurden Hausierer, die Starken Räuber. Und manche wurden beides. Berta hielt den Messer-Jakob daher für einen, der die Hand für ein paar Münzen ausstrecke oder der um Kartoffelschalen bitte. Deshalb nahm sie den Mann mit in die Küche. Der Messer-Jakob folgte ihr ganz wie ein unterwürfiger Bettelmann, und erst als er dort mit Berta allein war, ließ er von seiner Verstellung ab. »Mein braver Kamerad Philipp ist wohlbehalten eingetroffen?«, fragte er freundlich, als Berta ihm einen Napf mit Krautsuppe hinstellte. Er sah dabei nicht von seinem Topf auf, dennoch spürte Berta: Der Mann achtete nicht darauf, was er aß. Er verfolgte nur jede ihrer Bewegungen, jeden ihrer Laute. »Wer sind Sie?«, fragte sie. Natürlich wusste sie jetzt, werer war. Sie wollte nur Zeit gewinnen. »Gute Frau, was soll der Schwindel? Sie sind die Frau Gauch, und ich bin der Jakob Argenthaler ...« Er hob den Kopf, lächelte sie gewinnend an und sagte dabei: »Der Messer-Jakob!« »Was wollen Sie?« »Ich war dem Philipp ein guter Kamerad, und er lässt mich im Stich«, erklärte der Scherenschleifer und tat bekümmert über diese Verirrung des Philipp. Er brachte seine Anschuldigung aber auch wieder so vor, als sei gewiss, dass es sich dabei um eine verständliche Schwäche des Philipp handele, nicht um bösen Willen. »Der Philipp hat mit Ihnen nichts zu schaffen. Der Philipp ...« »Madame Gauch, wir waren die besten Kameraden, und er verrät mich!« »Der Philipp hat Sie nicht verraten! Und wenn Sie jetzt nicht gehen, rufe ich...« »Doch keine unbedachten Sachen, Madamchen! Ihr holt die Gendarmen und die kommen her. Und was finden sie? Den Jakob und den Philipp. Wo der eine ist, ist der andere auch nicht weit.« »Der Philipp ist nicht hier!«, behauptete Berta fest und wies dem Jakob die Tür. Der schloss sie aber sanft. »Liebe Frau«, sagte der Jakob, »bei meiner Seel': Ich hole die Gendarmen, wenn ihr mich davonjagt! Meint Ihr, ich will erfrieren!« Dann begann er aufzuzählen, was er alles für den Philipp getan habe: Er habe den Philipp vor dem Gefängnis bewahrt, das letzte Stück Brot habe er mit dem guten Jüngling geteilt, wie ein Vater habe er für ihn gesorgt. Sollte er bei so viel Verdiensten im Elend bleiben? Berta sagte erbost: »Jetzt reicht's! Verschwindet! Ich ruf' die Gendarmen!« »Frau Gauch«, der Messer-Jakob schlug nun eine schärfere Klinge, »wenn Sie könnten, hätten Sie sie schon geholt! Also, ich bleibe! So lange es Winter ist!«