Mein Leben lang wollte ich schreiben und mein Leben lang habe ich geschrieben.
Ich erinnere mich, der erste Mensch, der das erkannte (das Schreiben wollen) war ein zu seiner Zeit recht bekannter Autor namens Heinz Becker-Trier. Er wohnte über Monate im Haus meiner Mutter (›Pension Elisabeth‹) auf der Rheinhöhe zwischen Wiesbaden und Biebrich, eigentlich schon Biebrich. Wir unterhielten uns über dies und das und eines Tages schenkte er mir ein Exemplar seines Romans ›Der Mann, der in den Himmel sah‹, der 1947 oder 1948 erschienen war. An den Inhalt erinnere ich mich nur vage, aber sehr genau an die Widmung: »Meinem zukünftigen Kollegen«. Ich war da vielleicht dreizehn oder vierzehn und hatte außer für die Schülerzeitung noch nichts geschrieben.
Dies aber immerhin!
Ich wurde durch Vermittlung meiner Großmutter Volontär und danach sehr junger Lokalredakteur der damals noch selbstständigen rheinhessischen ›Ingelheimer Zeitung‹, der ich bis zu ihrem Ende treu blieb. Sie wurde dann eine Lokalausgabe der ›Allgemeinen Zeitung‹, Mainz, und wahrscheinlich wäre ich ihr ebenfalls treu geblieben, hätte ich nicht kurz nach meiner Anstellung dort einen Brief vom Südwestfunk, Baden-Baden, erhalten, in dem der damalige Finanzdirektor mir schrieb, er habe von meiner Großmutter gehört, ich wolle gern zum Südwestfunk wechseln und wenn dem so sei, möge ich ihm das mitteilen. Ich wollte, fuhr nach Baden-Baden und war nach einem etwa einstündigen Gespräch engagiert, als ›Programmredakteur‹ des gerade entstehenden SWF-Werbefernsehens. Das war insofern das Richtige für mich, da ich damals und auch danach das Kino für die lebendigste aller Künste betrachtete und das noch immer tue. Noch immer gehen mir lebende Bilder über alles …
Als ich wegen meiner neuen Aufgabe bei der Allgemeinen Zeitung kündigte, wurde ich von Erich Dombrowski, dem Herausgeber der AZ, einbestellt. Ich erwartete eine Strafpredigt wegen erwiesener Undankbarkeit, schließlich wurde auch damals nicht jeder, der wollte, eingestellt. Aber Herr Dombrowski wollte mich nur mal kennenlernen, mir alles Gute wünschen und zum Abschluss unseres Gesprächs sagte er mir voraus: »Sie werden ein großer Journalist«. Ich habe diesen Satz immer als Orden betrachtet, schließlich war Erich Dombrowski schon in den Zwanziger und dreißiger Jahren Chefredakteur sagenumwehter Berliner Zeitungen und 1949 einer der Gründer und danach Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Mit dem Journalismus wurde es nur partiell etwas, ab und zu habe ich Artikel für große Zeitungen geschrieben, und seitdem ich in Berlin lebe, schreibe ich jeden Monat für den Wiesbadener Kurier bzw. das Wiesbadener Tagblatt einen ›Brief aus Berlin‹, in dem ich meinen früheren Wiesbadener Mitbürgern Leben und Treiben in der Hauptstadt beschreibe. Bei ›Radio Rheinwelle‹ habe ich eine monatliche Sendung, in der ich dasselbe mache.
Mit dem Schreiben ging es insofern weiter, als ich schon während meiner insgesamt rund vier Redakteursjahre beim Südwestfunk die ersten eigenen Drehbücher schrieb, dazu sehr animiert von meiner Freundin Charlotte. Die eigentliche Freude bestand darin, dass diese Drehbücher – zum Haushonorar – verfilmt wurden. Die erste Geschichte drehte sich um ein kleines Hotel, das seine Geldschwierigkeiten mit einem Schwindel beheben wollte. Hotels und die Sorgen und Freuden von Hoteliers sind sozusagen das Thema meines Lebens. Sie kommen in einigen meiner Bücher vor, auch in Fernsehspielen und Fernseh-Serien, etwa in ›Hier kocht der Chef‹ oder in der Komödie ›Wir werden Vater‹.
Das Thema Hotels, Hoteliers und Gäste beherrscht vor allem meine Romane ›Hotel Petersburger Hof‹ und ›Gute Jahre‹, die persönlichsten meiner Bücher. Hier habe ich meine sehr eigenwillige Großmutter und Hotelbesitzerin – sie nannte sich selbst Matratzenvermieterin – zur Heldin gemacht. Der ›Petersburger Hof‹ erschien ursprünglich bei Scherz, damals noch Bern; man wünschte sich nichts Elektronisches, alles auf Papier! Das Taschenbuch dazu brachte der Verlag Droemer-Knaur heraus und die Frauen-Zeitschrift ›Brigitte‹ nannte das Buch eins der schönsten des Jahres 1996.
Mit der Fortsetzung ›Gute Jahre‹ ließ ich mir viel Zeit; ich dachte, alles Wesentliche erzählt zu haben. Aber da die Leserinnen nicht aufhörten zu drängeln und unbedingt wissen wollten, wie es weitergegangen sei, habe ich zwanzig Jahre danach den zweiten Teil der Geschichte geschrieben, eben ›Gute Jahre‹. Die Magdeburger Volksstimme hat die ›Frieda-Saga‹ als Ganzes rezensiert und dazu formuliert, was ich am liebsten hören wollte: »Auf tausend Seiten stellt Hans Dieter Schreeb eine Frau und das Jahrhundert der Deutschen vor«.
Zwischen den ersten Drehbüchern und ›Gute Jahre‹ liegen viele Jahre, eine ganze Karriere, ein ganzes Leben.
Im Herbst 1963 wurde ich bei einer Besprechung in der NFP, einer renommierten Filmproduktion, damals in der Wiesbadener Uhlandstraße heimisch, heute in Berlin, Halle und Wiesbaden, Hans-Georg Thiemt vorgestellt. Ich versuchte mich gerade als freier Autor und er wollte weg von dem, was er tat. Er war einige Jahre älter als ich und nach seinem Selbstverständnis Filmmensch, war lange Regieassistent von Wolfgang Staudte gewesen und zu der Zeit, als ich ihn kennenlernte, Regisseur von Werbefilmen. Damit war er sehr erfolgreich. Er war zum Beispiel in Cannes mit Goldmedaillen für seine Spots ausgezeichnet worden, aber das Geld und der Porsche machten ihn nicht (mehr) glücklich. Wir trafen uns zu einer Tasse Kaffee und dabei entwickelte er die Idee zu einem Zwanzig-Minuten-Drama (damals die übliche Länge für Filme des Werbefernsehens) und fragte mich, ob ich den Aufriss dazu schreiben wolle. Wollte ich; dann schrieben wir dazu gemeinsam das Drehbuch, die NFP reichte es beim Saarländischen Rundfunk ein und vierzehn Tage später war die Geschichte verkauft.
In dieser Art haben wir dann über Jahrzehnte Drehbücher für ARD und ZDF geschrieben, besonders viele für das ZDF. Leider aber nicht immer so problemlos verkauft, manchmal ja, manchmal nicht. Die Bundeszentrale für politische Bildung ließ einmal untersuchen, wer die – quantitativ – ergiebigsten Autoren des deutschen Fernsehens seien. Bei dieser Untersuchung landete das Autorenduo Thiemt/Schreeb auf Platz 3, Sieger des imaginären Wettbewerbs war Herbert Reinecker, der Erfinder von ›Derrick‹ und vieler ›Straßenfeger‹.
Hans-Georg Thiemt und ich wurden von verschiedenen Verlegern dazu ermuntert, Bücher zu unseren erfolgreichsten Serien zu schreiben. Der erste von ihnen war Julius Breitschopf, ein Wiener Verleger von Kinderbüchern und von ›Fernsehbüchln‹, wie er sein Produkt nannte. Palettenweise wurde diese spezielle Literatur in Kaufhäusern verkauft und von uns, Hans-Georg Thiemt und mir, wünschte er sich Buchmanuskripte zur damals und lange danach auch noch erfolgreichen Abenteuerserie ›Kurier der Kaiserin‹ mit Klausjürgen Wussow in der Hauptrolle. Herr Breitschopf versprach uns Abrechnungen, die jedem von uns ein Haus an der Riviera eintragen würden. Klugerweise riet er uns, mit dem Kauf der Grundstücke noch bis zur ersten Abrechnung zu warten. Die ›Büchl‹ sind erschienen, die versprochenen Häuser haben wir davon nie kaufen können. In jedem Fall war die Bekanntschaft mit Julius Breitschopf lohnenswert; ich habe ihn hier und da als Figur nachgezeichnet.
Das Schreiben der Fernseh-Bücher war für Hans-Georg Thiemt und mich aber in anderer Hinsicht wichtig. Wir, die wir bereits seit zehn Jahren Fernsehspiele, Dokumentarspiele und Serie nach Serie (und zwar Wort für Wort gemeinsam) geschrieben hatten, kamen bei dem Wiener ›Kurier der Kaiserin‹-Auftrag nicht über die erste Seite hinaus. Wir zerstritten uns dabei so, dass die Partnerschaft auf der Kippe stand.
Bei der Gelegenheit wurde uns zum ersten Mal klar, was Manuskripte für Film und Fernsehen von Literatur unterscheidet.
Das Eine sind Handlungsanweisungen für viele Menschen – Bühnenbildner, Toningenieure, Schauspieler, Regisseure, Produzenten, selbst noch für Financiers − und sie müssen so vage gehalten sein, dass jeder von ihnen seine Phantasie und seine Einfälle einbringen kann und andererseits so klar und durchstrukturiert, dass man beim Lesen des Drehbuchs schon den fertigen Film vor Augen hat. Das Andere, die Literatur, sind Zwiegespräche zwischen Autor und Leser und entsprechend viel intimer, viel persönlicher. Wenn mich jemand fragt, wie zwei Autoren gemeinsam einen Roman schreiben können, kann ich nur antworten: Ich weiß es nicht. Wir, Hans-Georg Thiemt und ich, haben jedenfalls nie einen geschrieben. Dass auf meinen ersten Büchern unser beider Name steht, war nur eine Marketing-Maßnahme. Wir waren eben als Autoren-Duo eingeführt. Meine Frauen hat das immer sehr geärgert.
Unsere Zusammenarbeit endete nach Jahrzehnten mit der schweren Krankheit von Hans-Georg Thiemt und seinem Tod. Danach wurde das Fernsehgeschäft für mich schwieriger und unerfreulicher. Im Grunde wollte ich es auch nicht mehr, am Ende erschien mir alles wie die Wiederholung des ewig Gleichen. Es begann die Phase, in der ich meine wichtigen Romane schrieb: ›Der Bader von Mainz‹, ›Feuerblumen‹, ›Hinter den Mauern von Peking‹, ›Primadonna‹, den bereits mehrfach erwähnten Roman ›Hotel Petersburger Hof‹ und andere, die mir ebenfalls am Herzen liegen. Die meisten von ihnen erschienen bei Ullstein. Seit einigen Wochen ist die englischsprachige Version von ›Hinter den Mauern von Peking‹ als ›Behind the Walls of Beijing‹ als e-book zu haben – weltweit und mit dem Logo des Theaterverlags und Medienagentur Gallissas auf der Titelseite.
Und damit sind wir bei den Begebenheiten, die mich mit meiner Verlegerin, Trauzeugin und Freundin Bettina Weyers zusammengebracht haben, Begebenheiten, die sozusagen zu meiner vierten Karriere als Librettist geführt haben.
Als ich unsere heutige Gastgeberin kennenlernte, hieß sie noch Bettina Migge, war Prokuristin des seit Hauptmann‘s und Brecht‘s Zeiten angesehenen Berliner Theaterverlags Felix Bloch Erben. Vor allem war Bettina trotz ihrer Jugend bereits selbst eine Größe im Theaterbetrieb zwischen Berlin und New York, einschließlich Paris und London. Ich besuchte sie in ihrem Büro in der Hardenbergstraße, unmittelbar neben dem Renaissance-Theater, weil ich hören wollte, was aus unserem Theaterstück ›Geldsorgen‹ geworden war. Der Stoff war ursprünglich ein Fernsehspiel, dass das ZDF ausgestrahlt hatte; Hans-Georg Thiemt und ich hatten es zu einem Boulevardstück umgeschrieben und Bloch Erben hatte den Vertrieb übernommen.
Es stellte sich heraus, dass das Stück trotz Bemühungen von Bloch Erben von keinem Theater gespielt worden war, und leider ist es danach auch nicht passiert. Ich fürchte, es wird trotz seiner guten Grundidee keine Auferstehung erleben – die Zeit ist darüber hingegangen.
Nun, für mich ist jedes Stück, jedes Buch, jeder Film in erster Linie ein Los in der Lotterie. Nie ist vorauszusagen, was wann wem gefallen wird bzw. ein Flop wird. ›Geldsorgen‹ hatte als Theaterstück eben Pech, dafür hatte es jedoch als Fernsehspiel sein Geld eingespielt … Mischkalkulation!
Wichtig war vor allem, dass Bettina und ich schon beim ersten Zusammentreffen Pläne entwickelten, und wie wunderbar sind sie im Laufe der Zeit aufgegangen.
Ich war dabei, als sie zunächst in der Wielandstraße, dann in der Potsdamer Straße ihre Agentur zusammen mit ihrem Mann, dem Bühnenbildner und Regisseur Christoph Weyers, aufbaute. Ich durfte das Buch zum Musical ›Tell‹ schreiben, das am Walensee Premiere hatte und für das Christoph das sehr ungewöhnliche Bühnenbild schuf.
›Tell‹ hat mich, wie mir ein Schweizer Bundesrat sagte, zu einem Teil der Schweizer Nationalgeschichte gemacht. In diesem Frühjahr wurde in einer Pressekonferenz in der Schweizer Botschaft in Wien das Musical ›Heidi‹ – Musik und Songs Michael Schanze, Buch Hans Dieter Schreeb – angekündigt; es hat in diesem Oktober (exakt am 10. Oktober 2018) im Wiener Museumsquartier Premiere. Bei der Gelegenheit war der Botschafter der Eidgenossenschaft so liebenswürdig darauf hinzuweisen, dass es wohl nur wenigen Autoren vergönnt sei, beide Heroen der Schweiz, eben Tell und Heidi, dem großen Publikum noch näher zu bringen.
Im kommenden Jahr wird, soweit alles gut geht, das Musical ›Zeppelin‹ – Musik und Songs Ralph Siegel, Buch H. D. Schreeb – Fahrt aufnehmen und ebenfalls im kommenden Jahr wird das Musical ›Kohlhiesels Töchter‹ – nach Ernst Lubitsch, Musik Shaj Cohen, Songs Norbert Hammerschmidt und Buch … na ja, eben, auch von mir − auf der Bühne sein.
Alles Gallissas-Projekte, und in allen steckt Herzblut von Bettina.
Ich danke Dir dafür, liebe Bettina – dafür und für Deine Freundschaft und auch dafür, dass Du mich mit diesem Fest überrascht hast. Aber vor allem dafür, dass Du es möglich machst, dass ich weiterhin schreiben und schreiben kann. Ich glaube, ich habe es schon zu Anfang gesagt – das Schreiben von Geschichten und das Beschreiben von Fakten möchte ich gern so lange fortsetzen, wie es möglich ist. Falls es jemand wissen will: Zurzeit schreibe ich einen Roman mit dem Arbeitstitel ›Äquatortaufe‹; er zeigt Deutsche in Brasilien und ist angeregt durch die Familiengeschichte meiner Frau. Der Roman sollte eigentlich schon vor vielen Jahren fertig sein. Nun, wird er eben etwas später fertig … Vielen Dank fürs Kommen und fürs Zuhören!«
Diese Rede sollte anläßlich eines Essens, das der Verlag und Medienagentur Gallissas, zu Ehren von Hans Dieter Schreeb auf der Dachterrasse des Hotels Adlon gab, gehalten werden. Es kam nicht dazu ... Dann wenigstens hier!