Ich habe heute die Ehre, die Laudatio auf unseren Kulturpreisträger Hans Dieter Schreeb zu halten.
Als er mich vor Wochen fragte, ob ich diese Rolle übernehmen wolle, war das „Ja“ für mich eine Selbstverständlichkeit. Schließlich haben wir gemeinsam drei seiner Romane in der Stadtbibliothek und in der Villa Clementine vorgestellt. Wir sind sogar zusammen im Kurhaus aufgetreten. Mit „Hinter den Mauern von Peking“ waren wir richtiggehend auf Tour, waren im Historischen Museum in Frankfurt und in der Kurfürstlichen Burg in Eltville. Unser Auftritt im Wiesbadener China-Restaurant „Peking“, das von der vhs-Dozentin für chinesische Küche Xu Bing geleitet wurde, bleibt in besonders angenehmer Erinnerung.
Von daher glaubte ich also, unseren Preisträger und sein Werk gut zu kennen. Erst im Lauf der Vorbereitungen auf den heutigen Abend wurde mir deutlich, wie umfangreich und vielfältig sich das Schreebsche Gesamtwerk darstellt.
Außer in der Lyrik hat er in allen aktuellen literarischen Genres veröffentlicht: Theaterstücke, Drehbücher für Fernsehspiele, Tatort-Folgen und für ganze Fernsehserien, Hörspiele, Jugendbücher, sechs Romane (zwei davon mit seinem Co-Autor Hans Georg Thiemt). Ein weiterer Roman ist in Vorbereitung, ebenso ein dokumentarisches Buch über Wiesbaden unter dem Titel „Kaiser Zeit“. Sein Hörbuch „Lilo Kaminski“ ist soeben erschienen.
Ich bitte um Verständnis, dass ich mich in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit auf die Würdigung des Schriftstellers als Romanautor beschränke.
Entgegen den komplexen Erzählformen manches zeitgenössischen Romans habe ich mich für ein herkömmliches Verfahren entschieden, das auch unser Preisträger überaus erfolgreich in seinen Romanen einsetzt, nämlich: mit dem Anfang zu beginnen und mit dem Ende aufzuhören.
Hans Dieter Schreeb wurde 1938 in Wiesbaden geboren als Sohn der Elisabeth Schreeb, geb. Sander aus Paderborn, und des Alfred Schreeb aus Wiesbaden.
Den Doppelvornamen Hans Dieter bekam er, weil in der Nachbarschaft an der Biebricher Allee zwei Frauen zwei Söhne bekamen, von denen der eine Hans und der andere Dieter hieß. Schreebs Mutter Elisabeth: „Was die zu zweit können, kann ich alleine.“ Konsequenterweise wurde er auch zweimal getauft, zuerst evangelisch, später dann katholisch. Das Haus, in dem er geboren wurde, hieß nach seiner Mutter „Villa Elisabeth“ und stand damals, wo es heute noch steht, in der Gottfried-Kinkel-Straße. Schreeb freut es, dass er in einer Straße geboren ist, die nach dem demokratischen Revolutionär benannt ist. Sein Vater, der Koch im Hotel Rose gelernt und im New Yorker Waldorf Astoria gearbeitet hat, riet dem kleinen Hans Dieter mehrmals „Eisenbahnrat“ zu werden. Was er damit genau gemeint hat, konnte er seinem Sohn nicht mehr mitteilen. Er ist 1944 in Russland gefallen.
Ganz wichtig für seinen Lebensweg war seine Großmutter Frieda Schreeb. Ihr verdankt er wesentliche Hinweise für seine Berufswahl und Karriere. Sie war es, die ihm 1955 den Hinweis auf die Volontärsstelle bei der „Ingelheimer Zeitung“ gab, nachdem er nach der Obersekunda vom Mainzer Gymnasium am Schloss abgegangen war. Eigentlich hatte Großmutter ja gewollt, dass er Bischof von Limburg werde, aber damit war nun Schluss. Obwohl er als Messdiener schon gute Voraussetzungen erworben hatte. Auch der jetzige Papst – und jeder vor ihm – hat mal so angefangen.
Schon im Bischöflichen Internat in Montabaur hat er am Fenster gestanden und zu sich – und der Welt - gesagt: „Ich werde Schriftsteller!“
Ein begeisterter Leser war er schon als Kind: Karl Helds „Die rote Zora“ gehörte ebenso zu seiner Lektüre wie Karl Mays gesammelte Werke. Mit 12 lieh er sich das „Kapital“ von Karl Marx in der Stadtbibliothek, die damals noch am Schützenhof untergebracht war. Das war ihm dann aber doch zu langweilig: zu wenig Handlung, zu wenig Erzählung, dafür zu viel Theorie und abstrakte Belehrung. Der „Schatz im Silbersee“ war da doch spannender.
Natürlich durften Alexandre Dumas’ Musketiere nicht fehlen. An Dumas’ Romanen schätzte er schon damals die gründliche historisch-dokumentarische Grundlage, die seinem früh entwickelten Interesse an geschichtlichen Erzählungen entgegenkam.
Mit 15 ging er dann zu den großen amerikanischen Erzählern über. Hemingway und Faulkner faszinierten ihn. Hemingways „Über den Fluss und in die Wälder“ gehört bis heute zu seinen Lieblingsbüchern.
Im Gymnasium war er bereits in jungen Jahren Redakteur der Mainzer Stadtschülerzeitung „Höfchen“ und interviewte zahlreiche Prominente, darunter den hessischen Ministerpräsidenten Georg-August Zinn in dessen Dienstvilla in der Rosselstraße, was in der Wiesbadener Presse sehr positiven Widerhall fand.
Wir sehen: günstige Voraussetzungen für den Beruf als Journalist und Schriftsteller.
Wiederum Großmutter Frieda war es, die ihm einen Hinweis auf eine Stelle beim Südwestfunk in Baden-Baden gab. Nach erfolgreich absolviertem Volontariat und 8 Wochen bei der Mainzer Allgemeinen, die die Ingelheimer Zeitung übernommen hatte, wurde Schreeb Programmredakteur beim Südwestfunk-Werbefernsehen.
Erich Dombrowski, Chef der Mainzer Allgemeinen und Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen, prophezeite dem gerade 20-Jährigen zum Abschied aus Mainz: „Sie werden ein ganz hervorragender Journalist.“
Inzwischen waren neben vielen anderen Werken der Weltliteratur als Lektüre Virginia Woolfs „Orlando“ und Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ dazugekommen, die bis heute eine große Bedeutung für ihn haben. Die Ausstattung der Schreebschen Protagonistinnen mit einem hohen Maß an kritischer Selbstreflexion ist sicher eine Wirkung dieser Lektüre.
Eine wichtige Erkenntnis Schreebs: „Nur wer gute Romane liest, kann auch gute Romane schreiben.“
Nach 4 Jahren abhängiger Beschäftigung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wo er angefangen hatte, erste Drehbücher zu schreiben, zog es unseren Autor in die Selbstbestimmtheit als Schriftsteller – ein durchaus risikoreiches Unterfangen, das er aber immerhin seit über 40 Jahren erfolgreich pflegt. Er ist einer der wenigen deutschen Schriftsteller von Qualität, der von seinem Schreiben leben kann.
Angesichts der Verdienste Friedas um die Karriere ihres Enkels wundert es einen nicht, dass er ihr in seinem erfolgreichen Heimatroman „Hotel Petersburger Hof“ ein bleibendes Denkmal geschaffen hat.
Ich habe ganz bewusst den Terminus „Heimatroman“ gewählt, weil Schreeb hier über die Stadt schreibt, in der er geboren und aufgewachsen ist, wo er lebt und arbeitet und die über Verwandtschaft, Erinnerungen und Beziehungen seinen Lebensmittelpunkt bildet.
Was sonst ist Heimat? Sicher nicht nur der „Ort, wo man seine Geburt vollzogen hat“ wie einmal ein 12-jähriger Schüler bei einem Aufsatzwettbewerb geschrieben hat, oder der Ort, wo man in den Kneipen Kredit bekommt.
Den bekommt Schreeb hier sicher vielerorts.
Schreeb lässt seinen Wiesbaden-Roman allerdings nicht nur in seiner Geburtsstadt, sondern auch in einem definierten Zeitraum spielen – vom Kaiserreich bis zur Nazi-Herrschaft –, zudem stellt er seine handelnden Figuren in einen gesellschaftlichen Kontext, mit dem sie sich auseinandersetzen und sich entwickeln, also ein Entwicklungs- und Bildungsroman, aber auch ein Zeit- und ein Gesellschaftsroman. Und er ist ein historischer Roman, nicht zuletzt ein Familienroman. Darüberhinaus ist er der einzige Roman, der vollständig in Wiesbaden spielt, sieht man von Hanns-Josef Ortheils „Agenten“ ab, der eher zufällig an hiesigem Ort angesiedelt scheint.
Wir sehen: Schreebs Roman ist charakterisiert durch die Zusammenfassung vieler Bestimmungen, die die Einheit des Mannigfaltigen bilden.
Die positive Resonanz auf „Hotel Petersburger Hof“ umfasste denn auch den gesamten deutschsprachigen Raum. Begeisterte Besprechungen gab es bis Wien und Bern.
Auch in seinen Büchern „Hinter den Mauern von Peking“ und „Primadonna“ ist ein Bezug zu Schreebs Herkunftsregion vorhanden. Der – reale - Gesandte von Mumm stammt aus dem Rheingau und die – fiktive, allerdings kaum als solche erkennbare – Diseuse Carlotta Vogt stammt aus Frankfurt.
Sein „Bader von Mainz“, in dem ein sehr facettenreiches Bild des Mittelalters entfaltet wird, spielt nicht nur in unserer Nachbarstadt, sondern ist darüber hinaus so gut recherchiert wie anschaulich und lehrreich geschrieben, dass seit Jahren stadtgeschichtliche Führungen angeboten werden, die das Buch zur Grundlage nehmen.
Keine Angst: Ich möchte Schreeb nicht zum Wiesbadener Heimatschriftsteller verkleinern. Wenn er das wäre – oder als solcher wahrgenommen würde – hätte er sicher schon längst die Bürgermedaille in Gold. Ich bin mir gar nicht sicher, ob er die haben möchte.
Er strebt nach Höherem, nach der Anerkennung und Auszeichnung als Schriftsteller, als „poeta laureatus“, die ihm ja heute zuteil wird.
Kennzeichnend für alle Bücher Schreebs sind die bemerkenswert starken Frauen – etwa Frieda, die chinesische Kaiserinwitwe, die Sängerin Carlotta - die er in Hauptrollen auftreten lässt, in ihren Gedanken und Gefühlen beschreibt, in ihrem Handeln und ihren familiären, beruflichen - und auch in ihren erotischen Beziehungen lebendig werden lässt.
Besonders gut gelingt ihm dies in seinem Roman „Primadonna“, in dem er den an Widerständen reichen Lebensweg der Frankfurter Bürgertochter Carlotta Vogt zur gefeierten Sängerin nachzeichnet. Er versteht es sehr gut, Carlotta mithilfe ihres – fiktiven? – Tagebuchs, als reifende weibliche Persönlichkeit zu charakterisieren, die sich in den Dialogen – etwa mit Pauline Viardot und Iwan Turgenjew – und ihren ehrgeizigen Handlungen entwickelt und entfaltet. Und er zeigt Carlotta als durchsetzungsfähige junge Frau, die in der äußerst männerdominierten Welt des Musikgeschäfts Mitte des 19. Jahrhunderts gegen widrigste Bedingungen ihr Ziel erreicht und zur gefeierten Primadonna wird.
Warum stellt der Autor diese starken Frauen in den Mittelpunkt? Ist es ihm ein Anliegen, positive Frauenrollen als vorbildlich zu präsentieren um damit zur – immer noch nicht vollständig hergestellten - Gleichberechtigung der Geschlechter beizutragen? Oder schätzt er – der hauptsächlich unter, neben und mit starken Frauen Aufgewachsene - den weiblichen Teil der Menschheit als wahrhaft bessere Hälfte? Oder zielt er – Realist, der er als hauptberuflicher Schriftsteller ist und sein muss - auf das Belletristikpublikum, das zu 80% aus Leserinnen besteht?
Möglicherweise gibt es eine Mischung der Motive. Ich weiß es nicht, kann nur mutmaßen. Hinweise auf die verschiedenen Antwortmöglichkeiten gibt es in all seinen Werken.
Vielleicht gibt auch der Autor selbst Auskunft; oder seine – selbstverständlich starke - Partnerin Gisela Maison, mit der er seit 16 Jahren verbunden ist.
Schreeb hat immer wieder versucht, in seinen zahlreichen Drehbüchern für Fernsehserien Jüdinnen und Juden auftreten zu lassen – ohne Erfolg. Die Figuren waren zwar immer noch in den Werken vorhanden, als er sie in der Ausstrahlung gesehen hat, aber sie waren nicht mehr Juden, sondern beispielsweise Katholiken. Woran lag das? Er vermutet, dass es damit zusammenhing, dass er die jüdischen Menschen als ganz normale Menschen mit all ihren Eigenheiten, Stärken und Schwächen, gezeichnet hat. Das passte offensichtlich nicht in das vorgegebene Bild. Juden mussten wohl ausschließlich als Opfer geschildert werden, ansonsten waren sie nicht medientauglich.
In seinen Romanen, beispielhaft im „Hotel Petersburger Hof“ und im „Bader von Mainz“, hat er das umgesetzt, was er wollte: eine differenzierte Darstellung jüdischer Charaktere, die durchaus Klischees aufgreift, diese aber sogleich kritisiert und in Frage stellt. So lässt er den Bader Matthes kritisch über die Verfolgung und Ermordung der Juden unter Mithilfe der Kirche nachdenken. Frieda lässt er sowohl den Antisemitismus ihres Mannes als auch den ihres Angestellten mit unbeirrbaren Gründen allgemeiner Menschlichkeit kritisieren.
Woher stammt das Interesse des Autors am Jüdischen?
Schreeb reagiert auf die Frage ganz locker und weist daraufhin, dass es möglicherweise eine jüdische Linie in seiner Familie gebe, die er aber bislang nicht weiter erforscht habe. Seine Großmutter, eine praktizierende Katholikin, habe etwa 1943 in ihrem Hotel „Brüsseler Hof“ das Laubhüttenfest gefeiert. Das Jüdische sei ihm durch die Familie und die dort geführten Gespräche als selbstverständlich vertraut gewesen, nie als etwas fremdes, unheimliches oder gar zu bekämpfendes.
Hans Dieter Schreeb ist ein Bürger unserer Stadt, unserer Region. Und er ist es gerne. Er ist der Überzeugung, dass die Menschen hier besonders mitteilsam und mitfühlend sind - und im durchaus positiven Sinn - überaus gesellig. Er kann sich nicht vorstellen, in einer anderen Gegend Deutschlands, Europas, der Welt, zu leben. Als Gründe nennt er den Weinbau und den Rhein, den großen Strom, deren Bedeutung für das Leben der Menschen er vor allem in seinem neuesten Werk „Die Krone am Rhein“ - wie stets - kenntnisreich und spannend schildert. Die Geschichte eines Hauses, einer Gastwirtschaft, eines Hotels und der dort lebenden und arbeitenden Menschen - eines Milieus also, in dem sich der Autor bestens auskennt - über den Zeitraum von 500 Jahren zu schildern, steht für sich. Und dies wiederum geschrieben mit der von Schreeb zur Meisterschaft getriebenen Mischung aus gründlich recherchierten Fakten und glaubwürdig eingepasster Fiktion. Neben dem Informations- bzw. Bildungsgehalt, der allen Schreebschen Werken eigen ist, macht die immer wieder wechselnde Erzählperspektive das Werk besonders lesenswert.
Bei unseren Gesprächen habe ich dem Autor auch die FAQs gestellt, die das Lesepublikum besonders interessieren: Wie kommt der Autor zu seinen Stoffen?
Original-Ton Schreeb: „Als Autor muss man jeden Tag professionell-neugierig wie ein Detektiv durchs Leben gehen und fragen: Welcher Stoff wird mir heute geboten?“
Stört es ihn, wenn er von der Presse immer wieder mal als Unterhaltungsschriftsteller bezeichnet wird?
„Nur wenn, wie es in Deutschland häufig geschieht, Unterhaltung herabsetzend gegen Bildung ausgespielt wird. Wenn aber etwa im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen meine Schreibweise gelobt wird, die durch stimmige Figuren, umfassend recherchierten Hintergrund und geschickte Dramaturgie wie bei den großen angloamerikanischen Schriftstellern bestimmt sei, und dadurch als gut gemachte Unterhaltung auf hohem Niveau gelobt wird, kann ich damit gut leben.“
Warum schreibt Schreeb am liebsten Romane?
Seine Antwort: „Zum einen finde ich es einfach spannend für mich erstmal einen Stoff zu recherchieren und damit Neues zu erfahren. Und im zweiten Schritt, dann dies in einen Handlungszusammenhang mit Personen – realen wie fiktiven - zu stellen und spannend zu erzählen. Ich habe einfach Freude am Recherchieren, Schreiben, Hervorbringen und Wirken.
Ich teile die Auffassung Orhan Pamuks, dass der Roman – mehr noch als andere Literaturgattungen - das Denken und das Verstehen schulen und damit das Einfühlungsvermögen für unterschiedliche Lebensweisen und Kulturen entwickeln kann – historisch wie aktuell. Und dafür stehe und schreibe ich.“
Diesen Antworten kann ich – außer Zustimmung – nichts hinzufügen.
Als Laudator bleibt mir jetzt nur noch die angenehme Aufgabe, der Kulturpreis-Jury unserer Stadt für ihre glückliche Wahl zu danken. Meine Damen und Herren, Sie haben Hans Dieter Schreeb mit der Verleihung des Kulturpreises der Landeshauptstadt Wiesbaden sehr geehrt und glücklich gemacht – ebenso wie seine zahlreichen Leserinnen und Leser.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren!
Herzlichen Dank für Dein Werk und herzlichen Glückwunsch für den längst verdienten Preis, lieber Hans Dieter Schreeb!
Die Feierstunde aus Anlass der Verleihung des ›Preises zur Förderung des kulturellen Lebens der Landeshauptstadt Wiesbaden‹ an Hans Dieter Schreeb fand am 7. Dezember 2005 im Festsaal des Wiesbadener Rathauses statt.