ADA: Kochbücher - und Gottfried Benn

Artikel

Der Sammler Walter Putz

Walter Putz, ein schlanker Mann Anfang der Siebzig, mit der Gewandtheit und der Diskretion eines klassischen Oberkellners, auch mit dessen eleganter Höflichkeit, hat sich im Laufe der Jahrzehnte eine Sammlung von Kochbüchern aufgebaut, wie man sie in dieser Qualität in Deutschland oder in den deutschsprachigen Ländern nicht leicht ein zweites Mal findet. Sie umfasst etwa dreitausend Bücher, davon einige handgeschriebene. Putz selbst nennt seine Sammlung ›geschliffen‹.

Eine solche Übereinstimmung zwischen einem Menschen, seinem Beruf und seiner Passion, wie sie sich in Walter Putz vereinigt, wird man ebenfalls nur mit Mühe ein zweites Mal finden. Walter Putz ist durch seinen Beruf an die Bücher gekommen und man denkt, seitdem er die ersten Raritäten in der Hand hatte, hat er seinen Beruf nur noch ausgeführt, um leben und sich Bücher kaufen zu können. Mit einem Wort, er ist der Sammler, wie man ihn in dieser Reinheit nicht mal im Lesebuch findet.

Ehe man über seine Bücher spricht, muss man deswegen über sein Leben reden. Walter Putz wurde 1924 in Niederschlesien geboren; genauer gesagt in Bad Altheide, einer ländlich-beschaulichen 4000-Einwohner-Gemeinde in der ehemaligen Grafschaft Glatz, geschätzt wegen ihrer eisenhaltigen Quellen. Breslau war hundert Kilometer entfernt, aber schon die ferne, weite Welt. Auch 1938, als der vierzehnjährige Walter aus der Schule kam, waren Lehrstellen knapp. Der Vater war Fuhrmann, aber die energische Mutter hatte in der Familie das Heft in die Hand. Sie schrieb eine Bewerbung an ein Breslauer Hotel‚ ›Hotel Vier-Jahreszeiten‹, ein erstes Haus am Platze, und als ein Termin zur Vorstellung genannt wurde, war das schon wie halb gewonnen. Mutter und Sohn stellten sich vor, der Junge wurde akzeptiert und begann als Page; ein halbes Jahr später war er im Service.

Dann folgten die Daten, die man aus den Lebensläufen des Jahrgangs 1924 kennt: Anfang 1942 Arbeitsdienst, von da aus ohne Umwege zum Militär. »Ich bin bis zum Kaukasus marschiert und zurück«, fasst Walter Putz seine Kriegserlebnisse in einen Satz zusammen. Dann folgten zwei Jahre Kriegsgefangenschaft; bedeutete elende Schufterei in belgischen Kohlengruben. Kurz vor Weihnachten 1947 wurde er freigelassen. Bei einem Onkel, den es ins bayerische Pullach verschlagen hatte, kam er unter. Dort fand er auch Arbeit in einer Fabrik. Erst ein Jahr später konnte er wieder in seinem Beruf arbeiten. Von da an war er einige Jahre im Saisonbetrieb tätig, unter anderem im ›Garmischer Hof‹‘ in Garmisch, im ›Bayerischen Hof‹ in München (das Haus wurde in der Wintersaison 49/50 mit 35 Zimmern und dem vom Krieg verschonten Festsaal wiedereröffnet), im ›Insel-Hotel‹, Konstanz, in ›Brenners Parkhotel‹ in Baden-Baden, in den Kölner Blatzheim-Betrieben, bei ›Walterspiel‹ in München und im ›Kaiserhof‹ in Essen, alles Häuser, die in der Hotellerie und der Gastronomie einen Namen haben. Laut Lohnsteuer-Karte verbrachte er 49 Jahre und zwei Monate in der Hotellerie, den größten Teil davon in ›Brenners Park-Hotel‹.

Insofern ist es folgerichtig, dass Putz in einem Hotel seinem Schicksal begegnete. Genauer gesagt, im Essener ›Kaiserhof‹, einem Haus für Gäste aus Industrie und Handel. Walter Putz schildert die Szene, wie Bekehrte vom Wendepunkt ihres Lebens sprechen. Es war Anfang der fünfziger Jahre, ein Frühstücksgast hatte ein Buch auf einem Fensterbrett vergessen. Walter Putz nahm das Buch an sich, blickte auf den Titel ›Physiologie des Geschmacks‹ und wusste, dass er damit eins der berühmtesten Bücher über Tafelfreuden in der Hand hielt, den Klassiker der gastronomischen Literatur. Mehr, sagt er, wusste er aber auch nicht. Eine schwache Erinnerung an die Berufsschule und an Redereien unter Kollegen waren für ihn damit verbunden, nicht mehr. Wie er nun die ersten Sätze lesen wollte, kehrte der Frühstücksgast und Besitzer des Bandes zurück. Man kam miteinander ins Gespräch und der Gast – »ich weiß bis heute nicht, wie er heißt und warum er dort übernachtete«, bemerkt Walter Putz dazu und das macht die Geschichte erst rund -, empfahl dem jungen Kellner einen Antiquar in Essen. Möglicherweise könne er dort ein Exemplar des Brillat-Savarin’schen Werkes finden.

Putz folgte dem Rat und der Antiquar sagte, was Antiquare in solchen Fällen immer sagen: »Ich muß mal sehen; ich glaube, ich kann Ihnen da helfen ...«. Vierzehn Tage später hatte Putz die 6. Ausgabe von 1913 in Händen ›nach Carl Vogts Übersetzung neu hers. gegeben von Alexander von Gleichen-Rußwurm‹. Der Preis: DM 8,50. Diese 6. Ausgabe ist den ›Pariser Feinschmeckern‹ gewidmet; in der ersten deutschen Ausgabe heißt es noch im Untertitel ›den Pariser Gastronomen gewidmet von einem Professor, Mitglied vieler gelehrter Gesellschaften.‹ In der französischen Originalausgabe von 1826 (erschienen bei Sautelet in Paris und ebenfalls in Besitz von Walter Putz) heißt die entsprechende Zeile: ›Dédié aux gastroniomes parisiens, par un professeur, membre de plusieurs sociétés littéraires et savantes.‹ Mit einem Wort, Brillats-Savarins einziges Werk, an dem er 25 Jahre gearbeitet hatte und das in gewisser Weise die gesamte Esskultur veränderte, ist anonym erschienen. Allein das Schicksal dieses Buches und seiner Wirkungen könnte ein eigenes Buch füllen. Anthelme Brillat-Savarin, sein Autor, 1755 geboren, war Beamter des französischen Staats, floh während der französischen Revolution in die Schweiz, dann nach Amerika, kehrte aber schon 1796 nach Paris zurück. Er starb 1826, in dem Jahr also, in dem sein Werk herauskam. Die erste deutsche Ausgabe der ›Physiologie des Geschmacks‹ erschien 1865 bei Vieweg in Braunschweig, übersetzt von Carl Vogt; danach kamen verschiedene andere heraus, von anderen Übersetzern und anderen Herausgebern.

Eine Ausgabe stammt von Alexander Sacher-Masoch (1962 bei H. Deutsch, Wien, Stuttgart, Basel). Sacher-Masoch gab dem Werk einen neuen Titel: ›Was der Mensch isst, das ist er.‹ Der eigentliche Haupttitel ›Physiologie des Geschmacks‹ ist in dieser Version Untertitel, und die nächste Zeile ›Neu gewürzt und frisch serviert von Alexander Sacher-Masoch‹ zeugt zumindest von Selbstbewusstsein.

Wenn man einen Augenblick über den Titel ›Was der Mensch isst, das ist er‹‘ nachdenkt, muss man sagen, falsch ist er nicht. Der Kampf ums Dasein macht aus Menschen Jäger und Sammler, Bauern und Händler; von Köchen und Küchenchefs gar nicht zu reden. Die Nahrung und wie sie zu finden und zuzubereiten und aufzubewahren ist, das war, ist und wird immer eins der zentralen Probleme der Menschheit sein. Deswegen findet man, wenn man Zeichen von Menschen findet, die lange vor uns lebten, auch immer Zeichen von ihrer Nahrung – Höhlenzeichnungen von der Jagd, abgenagte Tierknochen, allereinfachste Kochstellen. Und wenn die Kultur raffinierter war oder ist, dann bleiben Küchenutensilien, Essbestecke, Rezepte und Rezeptsammlungen zurück. Diese Rezeptsammlungen und die später erschienenen Kochbücher werden von den verschiedenen Wissenschaften und Wissenschaftlern als Kompass in vergangene Zeiten genommen. Historiker erfahren daraus ebenso viel wie Biologen, Zoologen oder Anthropologen.

Eins der ersten gedruckten Kochbücher, das Apicius-Kochbuch, ist gewissermaßen selbst ein Fundstück. Es greift auf Rezepte aus dem Jahre 30 nach Christus zurück. Ein reicher Römer namens Apicius hatte damals eine Sammlung von Rezepten zusammenstellen lassen. Abschriften dieser Rezeptesammlung geisterten mit vielen Fehlern und Entstellungen durch die Jahrhunderte. Die Vatikanische Bibliothek hütet noch heute Teile dieser Abschriften aus verschiedenen Epochen. Ein im Kloster Fulda gefundenes und sogar relativ komplettes Exemplar der ›Libri X de re culinaria‹ des Apicius bildete die Grundlage des ersten gedruckten Apicius-Kochbuch; wie es sich gehört in Latein. Die erste deutsche Ausgabe ist aus dem Jahre 1909: ›Das Apicius-Kochbuch aus der altrömischen Kaiserzeit. Ins Deutsche übers. und bearb. von Richard Gollmer.‹ (A. Langewort, Breslau & Leipzig) und enthält eine Menge Rezepte, die auch heute noch überzeugen. Warum soll zum Beispiel Kaltes Erbsenpüree mit Vinaigrette (Rezept 199) nicht schmecken? Andererseits sind Rezepte, wie mit Flamingos und Papageien zu verfahren ist, nicht mehr zeitgemäß. Wie auch immer, Walter Putz besitzt die – lateinische - Basler Ausgabe von 1541 des Apicius-Kochbuches, auch ein Exemplar einer frühen französischen Übersetzung; die deutsche sowieso.

Im Kern sammelt er, was seit Gutenberg an Culinaria in deutsch gedruckt (aber auch mit der Hand geschrieben) wurde. Gedachter Endpunkt seiner Sammlung ist das Jahr 1918. Nicht, dass für ihn damit das Kochen oder die Kochbücher an Bedeutung verlören. Einzig die Überfülle an Geschriebenem und Gedruckten, die danach einsetzt, hat ihn zur Selbstbeschränkung veranlasst.

Die frühen Kochbücher, durch die Bank noch heute wegen ihrer Typographie bestechend, aber auch wegen ihrer (Holzschnitt-)Illustrationen und allesamt äußerst rar, haben noch enge Verbindung zur Medizin. Kochen wird hier als ein Teil des Heilvorgangs verstanden, und entsprechend fallen die Rezepte aus, und zwar sowohl für den Menschen wie für die Haustiere.

Die älteste deutsche Pergament-Rezepthandschrift ist nicht zufällig ein (nur 24 Blatt umfassender) Anhang eines Tierarzneibuches. Sie nennt sich ›Das buch von guter spise‹ und wurde gegen 1350 für einen fürstbischöflichen Protonotar in Würzburg verfasst. Diese Handschrift ist heute im Besitz der Universitätsbibliothek München. Erstmals gedruckt wurde sie 1844 in Stuttgart. Bekannter sind die ›Schachtafelen der Gesunhtheyt‹, ursprünglich um das Jahr 1 000 von einem arabischen Arzt in arabisch verfaßt. Sein Name wechselte durch falsche Abkürzungen oder misslungene Übersetzungsversuche mehrfach. Die zu seiner Zeit gebräuchliche Kurzform seines Namens lautete Ibn Notlan; eindrucksvoller (und etwas Karl-May-haft) ist aber sein korrekter Name: Abu’l Hasan al Muthar ibn al Hasan ibn Abdun ibn Sa’dun ibn Botlan. So wird er im ›Tacuinum sanitatis medicina‹ angegeben, einer lateinischen Übersetzung seines Werks, und so steht er auch auf der ersten deutschsprachigen Ausgabe des ›Tacuinum‹, 1531 bei Hans Schott in Straßburg erschienen.

Der Titel dieser Ausgabe ist ebenso lang wie der Name seines Verfassers und gibt drei Teile an: ›I. Erstlich, Durch bewarung der Sechs / neben Natürlichen ding. Als / Des Luffts, den gesundheitlicher weiß, yn vnd / vß zu athemen, vnd zu entpfahen. / Speiß vnd Tranck ordentlich zu nyesszen. / Rechtmässiger übung, oder Rug des leibs / sich zu gebrauche, / Deß gleich Schlaffens, vnd Wachens, / Offnung, oider Verstopffung des bauchs. / Jnnerlicher Begyrlicheyten, oder Affecten. / als Freüden, Zorn, Forcht, Angst etc. / Grosszmächtigen Künigen, Fürsten, vnd / Herren erstlich vorgearbeytet, uß- /zogen, vnd zügeschriben.‹ Die zweite Abteilung verspricht dann Erkenntnisse zur Kur und Heilung aller innerlicher und äußerlicher Krankheiten (›vom haubt an bitz vff die/ füssz, durch alle glyder‹), die dritte bringt ein ›‚Regelbuch‹, das ›in gemeyn, vnd yeder dyenstlich. / Vormals nye gesehen, dem Gemeynen nutz / zu verstand newlich vßgangen / vnd verteütscht‹.

In dieser Tradition steht auch Walther Hermenius (›Gualtherum‹) Ryff bzw. Valtherius Rivius, wie er sich nach der Mode der Zeit latinisierte, mit seinem ›Spiegel, unnd Regiment der Gesundheyt, fürnehmlich auff Land, Gebreuch, Art, und Complexion der Teutschen gerichtet. Wie man sich auch aller Speiß und Tranck auß Kuchen, Keller, unnd Apotecken, der Gesundtheyt nach, gebrauchen und geniessen sol.‹ (Chr. Egenolph, Franckfurt am Meyn, 1555.) Auch sein ›New Kochbuch‹ oder sein ›Confectbuch unnd Hauß Apoteck‹ sind im ähnlichen Stil verfasst und vom gleichen Geist beseelt. Ein weiteres Prunkstück in der Sammlung Putz ist die ›Die teutsche Speiszkammer‹,1550 in Straßburg gedruckt und 1954 von ihrem Besitzer erworben – »‚zum Preis von 160 DM; das war sehr viel Geld für mich«.

Das bedeutendste, reich illustrierte Kochbuch aus dieser Zeit ist das Werk des gebürtigen Ungarn und späteren ›Churf. Meintzischen Mundtkochs‹ Markus Rumpoldt. Auch dieses ist mit einem der im Barock gängigen Endlos-Titeln geschmückt: ›Ein new Kochbuch, das ist Ein grundtliche beschreibung, wie man recht und wol, nicht allein von vierfüssigen, heymischen und wilden Thieren, sondern auch von mancherley Vögel und Federwildpret, darzu von allem grünen und dürren Fischwerck, allerlei Speiß, als gesotten, gebraten, gebacken, Presolen, Carbonaden, mancherley Pasteten und Füllwerck, Gallrat, etc. auff teutsche, ungerische, hispanische, italianische und frantzzösische weiß, kochen und zubereiten solle: Auch wie allerley Gemüß, Obß, Salsen, Senff, Confect und Latwergen, zuzurichten seye. Auch ist darinnen zu vernemmen, wie man herrliche grosse Pancketen, samt gemeinen Gastereyen ordentlich anrichten und bestellen soll.‹ Dieses, allen Menschen hohen und niedrigen Standes, Weibs- und Mannspersonen zugedachte Werk bringt desweiteren ›einen gründtlichen Bericht, wie man alle Wein vor allen zufällen bewaren, die bresthafften widerbringen, Kräuter und andere Wein, Bier, Essig, und alle andere Getränck, machen und bereiten soll, dass sie natürlich, und allen Menschen unschädtlich, zu trincken seindt. Franckfort am Mayn: 1581.‹

Marx Rumpolt war so gründlich, dass er sich auch ums Wohlbefinden des Personals Gedanken machte und dabei weder ›Eynkäuffer, Silberkämmerling‹ noch ›Truchsess‹ vergaß. Im VIII. Kapitel machte er sogar Angaben, wie man ›der geladenen Herrn Gästen Diener zu tactieren‹ habe. Er hielt es für angebracht, dass man sowohl den Dienern wie den Reitern und Wagenknechten eine eigene Tafel zubereiten und decken lasse. Dabei sollte man den Tisch mit einem frischen sauberen Tischtuch überziehen und auch reine, weiße Servietten bereitlegen.

Harry Schraemli, selbst ein renommierter Kochbuch-Verfasser (›Von Lucullus zu Escoffier‹) und berühmter Kochbuch-Sammler – seine Sammlung wurde Anfang der Siebziger Jahre unseres Jahrhunderts bei Sotheby versteigert – urteilte so über Rumpoldt: »Dieses monumentale Werk stellt mit einem Schlag alles bis dahin Erschienene auf diesem Gebiet in den Schatten. Kein anderes Land konnte sich rühmen, auch nur annähernd etwas Gleichartiges herausgebracht zu haben.«

Die Sammlung Putz umfasst an die dreitausend Titel; davon sind viele Raritäten und Rarissimae, etwa ein Werk von Nostradamus, das Weisheiten über das Konservieren verbreitet. Die deutsche Ausgabe ist von 1572 und vollständig vorhanden, einschließlich des Originaleinbands. Von Platina besitzt Putz Übersetzungen ins Deutsche und Englische; seine deutsche Platina-Ausgabe ist aus dem Jahre 1542, entsprechend wertvoll und stammt aus der Sammlung Schraemli wie ein weiteres Dutzend anderer Kostbarkeiten. Von La Varenne hat er Übersetzungen aus dem Französischen ins Deutsche und Italienische. Menon gehört zu seinen Schätzen (deutsche und englische Ausgaben), Beauvilliers, Gruffe, Duboise, Berchoux (in deutsch, englisch und italienisch), Procacchi, Collingwood und Wollams. Er besitzt Übersetzungen aus dem Russischen, Schwedischen, aus dem Englischen und immer wieder aus dem Italienischen und Französischen, wie das gar nicht anders sein kann bei der Bedeutung der italienischen und französischen Küche für die gesamt-europäische Tafel. Kurz gesagt, er besitzt beinahe alles, was die großen Köche bzw. die großen Gourmets des 17., 18. und 19. Jahrhunderts hinterlassen haben‚ etwa ›Das Menü‹ von Carl Ernst von Malortie, Königl. Hannv. Oberhofmarschall, Geheimrat und Dr. phil., auch Reisemarschall Seiner Majestät des Königs von Hannover, oder den ›Geist der Kochkunst‹ von Carl Friedrich von Rumohr, dem deutschen Brillat-Savarin.

Bleiben wir bei Rumohr. Von ihm sagt Putz: »Rumohr ist ein Mann, den ich sehr bevorzuge.« Er besitzt von ihm die erste Ausgabe von 1832 (J.G. Cotta, Stuttgart & Tübingen); diese Erstausgabe nennt als Verfasser noch ›Joseph König‹. Das war der Name von Rumohrs Küchenmeister. Putz hat aber auch Übersetzungen dieses Textes ins Englische und Schwedische.

Zur Sammlung Putz gehören Küchenlexika, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen, Küchenzettel fürs Jahr, Spezialkataloge. Gesammelt wurden Anweisungen, wie sich Wirte, Kellner, Dienstmädchen und Einkäufer verhalten sollen. Es gibt Spezialbücher über den richtigen Herd, über das Garnieren von Torten, über das Warmhalten der Speisen, über Resteverwertung und über das Kochen beim Militär (›Die Rezepte sind jeweils für 250 Mann berechnet.‹). Eindrucksvoll sind auch handgeschriebene Kochbücher.

Die älteste Handschrift in der Sammlung stammt aus dem Jahre 1550, aber auch in den folgenden Jahrhunderten haben Köchinnen ganze Bücher für den Eigengebrauch abgeschrieben. Eins nennt sich das ›Buch der Marie Anne Hueberi‹ und ist 1783 verfasst oder abgeschrieben worden; es enthält Rezepte, wie sie in Süddeutschland und Österreich gängig waren. Ein anderes ist eine Abschrift von 1785; das Original war 1688 in Paris erschienen.

Putz besitzt daneben Spezialsammlungen, um die allein ihn mancher Sammler beneidete. Dazu gehören etwa zwölf Werke über Genuss und Zubereitung von Austern, zahlreiche über Kaviar, alles Wesentliche über Kaffee, Tee, Wein und Bier. Er besitzt Raritäten auch aus abgelegeneren Sammelgebieten, zum Beispiel rund vierzig Bücher über die Kunst, Fleisch zu tranchieren. Jeder, der mal vor einem Dutzend erwartungsvoller Gäste versucht hat, die Martinsgans (bzw. die Martinsgänse, was einen wesentlichen Unterschied ausmacht) zu tranchieren, weiß, dass es tatsächlich eine Kunst ist. Im Laufe der letzten fünfhundert Jahre sind dazu viele, zum Teil sehr detaillierte Anweisungen erschienen. Etwa der berühmte ›Il Trinciante. Ampliato dal cavaliere Fusinito da Nari‹ von Vincenzo Cervio. Dieses Tranchierbuch war ein Anhang eines ebenso berühmten Kochbuches von Bartolomeo Scappi, dem Leibkoch von Papst Pius V. (In der Sammlung Putz gibt es davon die beiden römischen Ausgaben von 1580 und 1591, außerdem eine venezianische von 1622.) Oder Odilo Schregers: ›Der vorsichtige und nach heutigem Geschmacke wohlerfahrene Speismeister. Sammt einer Anweisung zum Kochen, Tranchiren und einigen sonderheitlichen Complimenten. Mit beygefügten allgemeinen Tischregeln.‹ (Augsburg 1778, ›bey Matthäus Riegers sel. Söhnen‹) Das ›Handbüchlein des guten Tones und der feinen Gesellschaft‹ von Ferdinand Freiherr von Biedenfeld sollte ›ein treuer Wegweiser für junge Leute‹ sein, ›sich in Gesellschaft und im Umgange beliebt zu machen und sich in allen vorkommenden Fällen gut und richtig zu benehmen‹. Nebst einer ›Anleitung zum Tanchiren und Vorlegen‹ enthielt es einen Anhang ›ganz neuer Gesellschaftsspiele und Pfänderauslösungen‹.

Die Sammlung solcher und ähnlicher Titel ergab sich für Walter Putz aus dem beruflichen Alltag. Noch heute lächelt er über die Zeit, als es selbst in den elegantesten Restaurants chic wurde, das Licht zu dämpfen und mit großem Trara den ›Balkan-Spieß‹ zu servieren und zu zelebrieren. Doch für ihn erwuchs daraus die Problemstellung: Wie und seit wann wurde mit welchen Gerätschaften hantiert und tranchiert? Dabei ergab sich, dass bestimmte Messer, bestimmte Gabeln, überhaupt bestimmte Gerätschaften der Küche und des Service sich im Prinzip über Jahrhunderte nicht veränderten.

Aus einer einfachen Frage eines Hotelgastes, was das Chinesische am China-Tee ausmache, erwuchs die eigenständige und gut sortierte Abteilung von Büchern über den Anbau und die Zubereitung von Tee. Dazu gehört – natürlich, möchte man sagen – das Werk ›Thee, domi militiaeque valetudinis custos‹, erstmals 1690 in Frankfurt am Main erschienen, eine Broschüre in 24 Paragraphen über den Tee in allen Lebenslagen. Das Vorsatzblatt beschreibt den Text so: ›Das ist: Gründlicher Bericht, wie ein jeder, dem seine Gesundheit lieb ist, das Thée nicht allein zu Hause gebrauchen, sondern wie auch ein Soldat sich im Felde damit praeservieren könne. Auch ob und was für Medicamenta bei dem Thée-Wasser nötig seyen. Vorgestellet von D. W.‹ Hinter diesen Initialen verbarg sich ein leibhaftiger Professor, nämlich Wilhelm Ulrich Waldschmidt, Professor zu Marburg, Kiel und Helmstedt.

Am Beispiel Tee kann man gut klarmachen, nach welchen Gesichtspunkten Walter Putz seine Sammlung aufgebaut hat. Hielt er sich anfangs an Leitfäden, etwas an Schraemlis ›Von Lucullus zu Escoffier‹, so hat er sich später angewöhnt, sich an die Experten des jeweiligen Fachgebiets zu wenden. Was den Fall Tee angeht, korrespondierte er mit den großen Importhäusern, dem Deutschen Tee-Institut, mit ausländischen Forschungsstellen, und am Ende ist er darüber selbst Tee-Experte geworden.

Auf diese Weise, durch die Verbindung zum Beruf, kam Sammler Putz auch zu einer Reihe weiterer Schätze, die seiner Sammlung zusätzliche Glanzlichter aufsetzen. Man könnte sie nennen: ›Alles Wesentliche der Cocktail-Literatur.‹ Er besitzt unter anderem das erste Cocktail-Buch, das je gedruckt wurde: ›How to mix drinks?‹ von Jerry Thomas (Dick & Fitzgerald, New York, 1862) und die erste und zweite Auflage von Harry Johnson’s berühmten Cocktail-Buch. Die erste Auflage ist nur in englisch gehalten, die zweite hat schon im Anhang die deutsche Übersetzung, wie es sich im vergangenen Jahrhundert für alle Sorten amerikanischer Kochbücher gehörte. Bis in die Mitte des Ersten Weltkriegs waren nämlich die großen Hotelküchen Amerikas fest in deutscher Hand; nur die deutsche Übersetzung garantierte daher bei Kochbüchern für Qualität. Durch Korrespondenz mit der ›Library of Congress‹ in Washington fand Walter Putz heraus: a.) Das Wort ›Cocktail‹ wurde 1806 zum ersten Mal gedruckt; b.) Es wird in allen Quellen mit einem Restaurateur namens Antoine Peychaud in Zusammenhang gebracht. Dieser Mann lebte in New Orleans und war Erfinder eines Bitters. Weiterhin steht zu vermuten, dass ein Zusammenhang mit dem französischen Wort Coquetail besteht, dem Namen für ein im Südwesten Frankreichs beliebten Mischgetränk. Hier weist die Wortwurzel auf Eierschale und Eierbecher hin; Genaues weiß man nicht.

Die Korrespondenz verläuft jeweils einigermaßen umständlich. Putz schreibt generell nach alter Väter Sitte nur mit Tinte und Rohr- und Vogelfeder. Seine Briefumschläge fallen durch ihre schwungvollen Unterstreichungen und Ausschmückungen sofort auf; es ist, als bekomme man Post aus dem 18. Jahrhundert. Er besitzt kein Auto und keinen Fernseher und wohnt seit vierzig Jahren in derselben Wohnung, der er ›Spitzweg-Milieu‹ attestiert. Immerhin existiert dort elektrisches Licht und ein altes Radio. Mit seiner mit Wollstoff bespannten Frontseite und einem ›magischem Auge‹ ist es selbst schon wieder eine Rarität, liefert aber treu und brav drei Kulturwellen, und mehr möchte Walter Putz nicht hören.

Am 29. März 1958 – Putz hat das Datum parat, als handele es sich um einen Nationalfeiertag – druckte die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrem Feuilleton ein kurzes Gedicht ›Der alte Kellner‹‘. Es war von Gottfried Benn, und Walter Putz schien es, als sagten die wenigen Zeilen alles Wesentliche über das Kellnerleben aus. Von da an ließ ihn Benn nicht mehr los; er las und sammelte alles, was er von und über Benn finden konnte. Heute besitzt er »5,5 Meter Benn« und zwanzig ›graphische Porträts‹ des Dichters. Die Begegnung mit dem Benn‘schen Werk nennt Putz »die größte Erfahrung meines Lebens«. Er meint, Benn habe auf alle seine Fragen eine Antwort.

Es ist wohl selbstverständlich, dass ein Mann mit solchen Vorlieben und Zwängen sein Leben allein verbringt und immer allein verbracht hat. Ihm war es jederzeit recht so, er wollte »mit der ganzen Welt gut Freund sein«. Und was geschieht mit seiner Sammlung, wenn er mal nicht mehr ist? Das ist bereits notariell geregelt, sie geht als Schenkung an die Sächsische Landesbibliothek nach Dresden. Die Sachsen freuen sich bereits darauf.

Und warum nach Dresden? »Dresden hat so viel verloren ...«

Erschienen in: Aus dem Antiquariat, Heft 10, 1998