Der Rauschgoldengel

Theater

Ein heiteres Weihnachtsstück Diese Geschichte spielt an einem Tag – an einem Heiligen Abend – und kommt mit vier Personen aus, mit Harald Reißmüller, einem in sich gekehrten jungen Mann, seiner Mutter Dagmar, egozentrisch und egoistisch, mit Sigi, Dagmars gegenwärtigem Liebhaber, und mit Iris, einer jungen Frau, die aussieht wie ein Weihnachtsengel und womöglich auch einer ist. Sie setzt die Geschichte in Bewegung und hält sie in Bewegung und macht aus einer möglichen Weihnachts-Tragödie eine Komödie. Mit Happy End. Iris Schwartz, 25, der Rauschgoldengel, hat lange blonde Haare, ist schlank, rank, witzig. Aus dem Stegreif erfindet sie ganze Dramen. Anfangs nimmt man ihre Erzählungen für bare Münze, dann kommt man dahinter, dass sie viel Phantasie besitzt und endlich merkt man, dass es ihr Spaß macht, die Rollen zu wechseln wie andere die Kostüme. Tatsächlich ist sie Drehbuch-Autorin mit Hochschulabschluss. Im Augenblick ist sie ohne Job und ohne Auftrag. Deswegen verdient sie sich ein wenig Geld als Verkäuferin von Weihnachtsbäumen. Der Mann, den sie bezaubert, ist Harald Reißmüller, 34, Erdöl-Ingenieur. Er arbeitet jeweils mehrere Wochen am Stück auf einer Bohrinsel vor Norwegen. Danach hat er mehrere Wochen Urlaub, die er am liebsten in seiner weitläufigen Berliner Wohnung verbringt – »als Mönch mit Schweigegelübde«, wie seine Mutter das nennt. Dabei ist Harald in Wirklichkeit ein freundlicher, ruhiger, klar denkender Mensch, der eben sparsam mit seinen Worten umgeht. Er hat sich geschworen, allzeit das Gegenbild seiner Mutter sein. Ihre Liebes- und sonstigen Dramen waren ihm immer ein Gräuel; lieber verzichtet er generell auf Liebe, als so etwas zu kopieren. Er denkt nicht darüber nach, warum Iris ausgerechnet ihn mag, nimmt es nur glücklich hin. Wunder gehören nun mal zu Weihnachten. Dagmar Reißmüller, 51, seine Mutter, hat, wie angedeutet, bewegte Jahre hinter sich. In ihrer Jugend war sie eine ›rassige Schönheit‹, Stewardess bei verschiedenen großen Airlines und insofern hat sie eine Menge von der Welt gesehen. Jetzt, da sie im zweiten Frühling ist, ist sie immer noch ›rassig‹, hat immer noch Männergeschichten und kurvt immer noch gern in der Welt herum. Eigentlich wollte sie Weihnachten auf einem Luxusdampfer unter dem ›Kreuz des Südens‹ verbringen, aber Sigi, ihr gegenwärtiger Liebhaber, hat sich ›entpuppt‹, aber so was von entpuppt … Kurz entschlossen, hat Dagmar die teure Reise abgebrochen und taucht als liebende Mutter bei Harald auf. (»Wir haben so viel nachzuholen, mein Junge …«.) Der Mann, der Dagmar zu ihrem folgenschweren Entschluss bringt, ist Sigi (Siegfried Sawatzki), 62, ursprünglich Kellner in Bad Oeynhausen und Berchtesgaden, dann Steward und Chefsteward bei verschiedenen Fluggesellschaften. Wegen der ›Sache mit seinen Füßen‹ musste er mit der Fliegerei Schluss machen, hat jedoch eine beträchtliche Abfindung herausgeholt, die er in ein kleines Vermögen umgewandelt hat. In den vergangenen Jahren wurde sein Anlageberater sein bester Freund. Kurz vorm großen Crash war Sigi so gewitzt, hatte die Lehman-Pleite früher ›antizipiert‹ als die Börsenhaie und steht nun bombig da, finanziell gesehen. Mit einem Wort, er hat das Ziel der deutschen Kanzlerin für sich beherzigt: Ist besser aus der rausgekommen, als er reingegangen ist. Es stimmt, Sigi nimmt gern jeden Vorteil mit; geizig ist er allerdings nicht. Sich selbst gönnt er schon das eine oder andere. Wenn er will, kann er sich sogar als Gentleman gerieren. Eine leichte Komödie, mit leichter Hand geschrieben   Der Rauschgoldengel Ein Weihnachtsstück Erste Szenen     Personen:   Dagmar Reißmüller, 51, eine Frau mit bewegtem Lebenslauf. In ihrer Jugend war sie eine ›rassige Schönheit‹, Stewardess bei verschiedenen großen Airlines und insofern hat sie eine Menge von der Welt gesehen. Jetzt, da sie im zweiten Frühling ist, ist sie immer noch ›rassig‹, hat immer noch Männergeschichten und kurvt immer noch gern in der Welt herum.   Harald Reißmüller, 34, ihr Sohn, Ingenieur. Er arbeitet jeweils mehrere Wochen am Stück auf einer Bohrinsel vor Norwegen. Danach hat er mehrere Wochen Urlaub, die er am liebsten in seiner weitläufigen Wohnung verbringt – »als Mönch mit Schweigegelübde«, wie seine Mutter das nennt. Harald ist ein freundlicher, ruhiger, klar denkender Mensch. Er will das Gegenbild seiner Mutter sein. Ihre Liebesdramen waren ihm immer ein Gräuel, lieber verzichtet er auf die Liebe, als so etwas zu kopieren. Seine Jugend hat er – weitgehend – bei seiner Großmutter verbracht. Seine Mutter war meistens abwesend.   Sigi (Siegfried Sawatzki), 62, ursprünglich Kellner in Bad Oeynhausen und Berchtesgaden, dann Steward und Chefsteward bei verschiedenen Fluggesellschaften. Wegen der 'Sache mit seinen Füßen' musste er Schluss machen und hat dafür eine beträchtliche Abfindung erhalten. Sigi nimmt gern jeden Vorteil mit; geizig ist er allerdings nicht. Sich selbst gönnt er schon das eine oder andere. Wenn er will, kann er sich als Gentleman gerieren.    Iris Schwartz, 25, hat lange blonde Haare, die sie wie einen Rauschgoldengel aussehen lassen. Sie ist schlank, rank, witzig. Aus dem Stegreif erfindet sie ganze Dramen. Anfangs nimmt man ihre Erzählungen für bare Münze, dann kommt man dahinter, dass sie viel Phantasie besitzt und endlich merkt man, dass es ihr Spaß macht, die Rollen zu wechseln wie andere die Kostüme. Tatsächlich ist sie Drehbuch-Autorin mit Hochschulabschluss. Im Augenblick ist sie ohne Job und ohne Auftrag. Deswegen verdient sie sich ein wenig Geld als Verkäuferin von Weihnachtsbäumen.       Schauplätze: Wohnung Harald (große ›Berliner Wohnung‹) Weihnachtsbaumverkauf (eine Baulücke, die bald zugebaut werden wird.)       1. Akt 1. Szene Haralds Wohnung   Dagmar kommt mit einem Koffer, zwei Taschen und einem Gebinde bunter Blumen – die typischen Mitbringsel aus Madeira – in die verlassen wirkende Wohnung, sieht sich um, stellt das Gepäck ab, zieht den Wintermantel aus und fängt an, die Wohnung wohnlicher zu machen. Sie reißt die Fenster auf, lässt frische Luft herein, stellt die Heizung an, gibt den Blumen Wasser, kocht sich einen Kaffee usw. Man hat anfangs den Eindruck, sie ist, von einer Reise zurückgekommen, in ihrer Wohnung. Dann merkt man, dass sie wohl Besucherin ist. Während sie sich zu schaffen macht, hört sie die Anrufe ab, die sich auf dem Anrufbeantworter gesammelt haben: Sie sind (fast) alle von einer Frau – nämlich von ihr selbst – und alle für Harald bestimmt. Anruf 1, Stimme Dagmar: Mein Junge, wie geht es dir? ... Bist du schon da? Melde dich doch mal! Ich kann dein Handy ... Hast du das Handy abgestellt? Immer nur die blöde Mail-Box ... Falls du noch nicht da bist: Ich habe ein kleines Weihnachtsgeschenk für dich, steht bei mir zu Hause ... Ich wollte es dir eigentlich bringen, aber es war dermaßen turbulent in den letzten Tagen ... Ansonsten, ein wunderschönes Weihnachtsfest für dich! Anruf 2, Stimme Dagmar: Harald, hier ist deine Mutter. Möchtest du mal zurückrufen? ... Bist du noch nicht da oder versteckst du dich? ... Harald, wir hatten gestern hier vierundzwanzig Grad! Ein herrliches Wetter! Das Schiff haben sie völlig überholt, ich habe es kaum wiedererkannt! Dermaßen luxuriös ... Sigi lässt auch schön grüßen unbekannterweise ... Melde dich! Anruf 3, Stimme Dagmar: Harald, ich muss unbedingt mit dir sprechen. Ich brauche deinen Rat ... Bitte, ruf zurück! .... Was soll ich denn noch tun? Ich habe schon in Norwegen angerufen und schon ein paar Mal hier ... Irgendwo musst du doch stecken! Anruf 4, Stimme Dagmar: Harald, ich halte das nicht aus. Dieser Mann ist ein ... Sadist ist nichts dagegen! ... Ich habe ihn heute Nacht nicht in die Kabine gelassen! Selbst, wenn er die Tür eingetreten hätte ... Ich weiß, so was bespricht man nicht mit seinem Sohn, aber ich weiß mir keinen Rat mehr! ... Kann man sich denn so in einem Menschen irren? Harald, ruf an! Anruf 5, Stimme Dagmar: Harald, bitte, ich bin am Ende! Wir legen heute Abend in Madeira an ... Es kann jetzt passieren, was will: Ich gehe von Bord! Ich halte das einfach nicht mehr aus! Seelische Grausamkeit ist nichts dagegen! ... Wo steckst du denn? Du wolltest doch schon vor vierzehn Tagen da sein ... Anruf 6, Stimme Dagmar: Harald, ich werde verrückt ... Ich bin wirklich gestern Abend von Bord gegangen ... Jetzt bin ich in einem kleinen Hotel in der Altstadt, aber sehr nett ... Ich rühre mich nicht eher, bis das Schiff wieder ablegt ... Ich habe regelrecht Versteck gespielt ... Hoffentlich hat das keine Folgen juristischer Art! ... Harald, willst du nicht herkommen? Wollen wir nicht mal zusammen Weihnachten verbringen? Ist das nicht eine wunderbare Idee? Nur du und ich? Du nimmst dir ein Ticket, sagst, deine Mutter war x-Jahre bei der Lufthansa, dann machen die was möglich. Die kennen mich allerdings nur unter meinem Mädchennamen! Musst du dran denken ...! ... Ich habe schon gefragt, hier hätten sie auch ein Zimmer für dich! ... Oder weißt du was, ich schicke dir ein Ticket! Ruf an! Anruf 7, eine Männerstimme: Hier Wedeking, Finanzamt II. Herr Reißmüller, könnten Sie mich  freundlicherweise zurückrufen? Nummer ist bekannt. MfG Wedeking. Anruf 8, Stimme Dagmar: Harald, ich hatte unglaubliches Glück! Du glaubst nicht, wer am Counter saß: Sabine ... Sabine Michaelis! Du erinnerst dich doch bestimmt noch an sie ...damals Delta Airlines, Flöckchen!  ... Ich fliege First Class, zahle aber nur Business-Class .... Kannst du mich abholen? Flug 7766, planmäßige Ankunft 7 Uhr 20! Ich freue mich so! Das wird ein herrliches Weihnachtsfest! Nur du und ich! Ich glaube, ich habe noch gar nicht gesagt, Frau Michaelis ist jetzt bei der Lufthansa, stell dir das mal vor! Sonst hätte das ja gar nicht geklappt, bei dem Weihnachtstrubel! Sie lässt herzlich grüßen! Anruf 9, eine Männerstimme: Hier noch mal Wedeking, Finanzamt II! Herr Reißmüller, Sie können mich auch in den Tagen zwischen den Jahren erreichen. Ich habe Stallwache. ... PS: Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, es geht nur um eine Sachfrage. Ansonsten schönes Weihnachtsfest! Anruf 10, Stimme Dagmar: Harald, wir sind gerade gelandet! Holst du mich ab oder ...? Anruf 11, Stimme Dagmar: Harald, ich mache mir furchtbare Sorgen ... Ist dir was passiert? Es muss dir doch was passiert sein ... Ich nehme mir dann ein Taxi ... Nach dem Abhören löscht Dagmar jeweils den letzten Anruf, Stück um Stück. Am Ende hat der Anrufbeantworter nur noch die Botschaften des Finanzbeamten. Dagmar, die telefoniert: Ja, Ewa, hier wieder Frau Reißmüller ... Ich wollte mich nur erkundigen ... Das finde ich ja sehr nett von Ihnen, dass Sie sofort ... Ist irgendwas eingefroren? ... Gut, hört man gern ... Frau ... Jopeck, ich bin spätestens in einer halben Stunde da. Meinen Sie, Sie könnten so lange...? Ach, das ist sehr freundlich von Ihnen ... Nein, mir geht es an und für sich gut. Es hat andere Gründe, dass ich die Kreuzfahrt abbrechen musste ... Na ja, wir sehen uns ja gleich. Dagmar, die auflegt und dann erneut wählt. Dagmar: Ja, ich brauche ein Taxi ... Arndt-Straße 12 ... Gut ... Wie lange wird es ungefähr dauern? ... Ich verlass' mich drauf! Dagmar zieht ihren Mantel an, nimmt ihr Gepäck und geht. 2. Szene Straße mit Weihnachtsbaumverkauf Pommerenke   Harald, der einen schweren Koffer hinter sich herzieht, geht eine Straße entlang, bleibt am Weihnachtsbaum-Verkauf Pommerenke stehen. Zu erkennen an einem Schild über dem Eingang: ›Willkommen! 50 Jahre Weihnachtsbaum-Pommerenke‹.  Ein etwas gerupfter Weihnachtsbaum fasziniert ihn. Er studiert das Preisschild, als Iris, die Weihnachtsbaumverkäuferin, mit festen Handschuhen, schweren Stiefeln und einer Wollmütze für alle Eventualitäten gerüstet, hinzukommt.   Iris: Für den könnte ich Ihnen Rabatt geben!   Harald: Wie viel?   Iris, die den Baum abschätzend ansieht: Sagen wir dreißig Prozent!   Harald: Die Hälfte!   Iris: In Ordnung … Allerdings hätten wir dahinten noch eine herrliche Edel ...   Harald, der ihr das Geld gibt: Wie kommen Sie darauf, dass Sie uns trennen könnten, meinen Baum und mich?   Iris: Entschuldigen Sie … Ich wusste nicht, dass es sich um eine Herzensangelegenheit handelt ...   Harald: Doch, ist es! Liebe auf den ersten Blick.   Iris: Und was hat diese starke Beziehung erweckt?   Harald: Gucken Sie sich ihn doch an … Er hatte es auch nicht leicht im Leben …   Iris: Verstehe … Darf ich wenigstens ein Netz drüber ziehen?   Harald: Ist nicht nötig … Das schaffe ich ... Ich wohne gleich da drüben … (Er sieht sie an:) Wo ist der alte Herr Pommerenke?   Iris: Im Krankenhaus … Lunge!   Harald: Na ja, war ja zu erwarten … So lange ich ihn kenne, hat er eine Zigarette an der nächsten angezündet ...   Iris: Sie sagen es …   Harald: Ja, dann frohes Fest!   Iris: Ihnen auch ...   Iris dreht sich um und geht zu einem Wärmeofen. Harald will sich entfernen, dann überlegt er es sich. Harald: Was würde ein Ständer kosten?   Iris: Wie bitte??!   Harald: Na, hier einer von den Ständern … Oder wie heißen die in der Fachsprache?   Iris: Weihnachtsbaumständer ...   Harald: Sehen Sie, das meine ich doch … Was würde einer kosten?   Iris: Fünfzig Euro!   Harald: Na, hören Sie mal … Das sind doch die primitivsten Dinger …   Iris: Aber erfüllen ihren Zweck! Hier ist noch kein Baum umgefallen! Was meinen Sie wohl, woher die vielen Wohnungsbrände kommen an Weihnachten?   Harald: Sie können doch nicht ernsthaft fünfzig Euro für so ein Ding verlangen ...   Iris: Ich verlange nichts … Sie wollten den Preis wissen; ich hab ihn Ihnen genannt! Mehr ist nicht!   Harald: Also gut, fangen wir noch mal von vorne an. Machen Sie ein Angebot!   Iris: Fünfzig Euro ...   Harald: Ah, ich verstehe, wer zuerst zuckt, hat verloren! Dann darf ich Ihnen mal Folgendes verraten: Wir sind seit fast dreißig Jahren Kunde hier … Meine Großmutter hat hier schon Bäume gekauft … Sogar schon beim Vater vom alten Pommerenke…!   Iris: Darauf habe ich ja Rücksicht genommen! Das habe ich ja einkalkuliert! Fünfzig Euro sind ja schon ein Sonderpreis … Normalerweise nehme ich ...   Harald: Was erzählen Sie denn? Sie haben im ganzen Leben noch keinen Ständer verkauft!   Iris: Wer sagt Ihnen das?   Harald: Meine Menschenkenntnis!   Iris: Na ja, wenn das so ist … Wenn Sie sich auf Ihre Menschen­kenntnis verlassen können, dann müssten Sie doch wissen, dass ich Ihnen beim Preis schon bis aufs Äußerste entgegen gekommen bin …  Da ist die Sympathie, die ich für Sie empfinde, Ihre Treue zu Weihnachtsbaum-Pommerenke und die Tatsache, dass heute Heilig Abend ist – ist alles schon eingepreist ...   Er sieht sie interessiert an, holt seine Brieftasche heraus, zählt fünfzig Euro ab.   Harald: Aber Sie sorgen dafür, dass der Baum steht … Sie befestigen den Ständer da dran!   Iris: Wieso das?   Harald: Weil Sie vom Fach sind ... Bei mir wird das eine einzige Quälerei und am Schluss steht er da wie der schiefe Turm von Pisa! So viel Kundendienst muss sein!   Iris: Aber sicher, wird erledigt, dafür sind wir ja da …   Harald: Sage ich doch!   Iris beginnt Baum und Baumständer zu vereinen. Sie macht das geschickt, nach wenigen Augenblicken steht der Baum. Sie wackelt und rüttelt dran:   Iris: Bombenfest!   Harald: Vorsicht! Sonst ist keine Nadel mehr dran, bis ich ...   Iris: Was unterstellen Sie uns? Weihnachtsbaum-Pommerenke ist bekannt für ..   Harald: Ja, deswegen kaufen wir ja hier seit dreißig Jahren  … Wieso habe ich Sie noch nie gesehen?   Iris: Es ist eine bittere Geschichte …   Harald: Erzählen Sie!   Iris: Wollen Sie sie wirklich hören?   Harald: Wenn Sie sie mir anvertrauen wollen ...   Iris: Also dann ... Mein Vater und Pommerenke waren zeitweise Freunde, richtig dicke Freunde … Mein Vater hat eine Baumschule … Schäfer, ich weiß nicht, ob Ihnen der Name was sagt? Wir ziehen in der Hauptsache Douglasien und … jetzt kommt's, mein Vater und der alte Pomerenke waren damals nicht nur Freunde, sie waren auch Konkurrenten. Oder sagen wir's noch deutlicher, sie waren Nebenbuhler, wenn Sie verstehen, was ich meine ... Unser Freund Pommerenke muss damals – als sie beide jung waren – eine unheimliche Wirkung auf Frauen gehabt haben...   Harald: So hätte ich ihn nie eingeschätzt!   Iris: Tja ... Ich sage nur, wie es ist. Mein Vater ist ausgerastet, als er hörte, dass ich hier aushelfen will ... Regelrecht ausgeflippt: ›Bei jedem anderen, aber nicht bei dem Wichser!‹ ... Aber ich finde, wenn der alte Mann nun im Krankenhaus liegt mit seiner Lunge und das Ende rückt unaufhaltsam näher – ob aus eigenem Verschulden oder nicht, das wollen wir gar nicht untersuchen –, dann dürfen doch diese alten Kamellen keine Rolle spielen! Verletzungen hin oder her!   Harald: Finde ich sehr anständig von Ihnen …   Iris: Sehen Sie! Sie sehen das wie ich. Aber Sie hätten mal erleben müssen, wie mein Vater mich fertig gemacht hat … (geheimnis­voll:) Ich habe natürlich auch schon drüber nachgedacht, ob vielleicht ganz andere Dinge eine Rolle spielen. Ich habe schon an Stasi gedacht ...   Harald: Wieso das?   Iris, verschwörerisch: Er hat sich tagelang in der Stasi-Behörde rumgedrückt ... Und dann hat er so komische Fragen gestellt ...   Harald: Das würde das Ganze natürlich in ein anderes Licht rücken ...   Iris: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!   Harald: Das ist nun allerdings die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin ...   Iris: Sicher, Evangelium Johannes, Kapitel 8 (sie zitiert:)›Geh' und sündige von jetzt an nicht mehr!‹   Harald: Genau! Das ist auch für mich der entscheidende Punkt ... Darf ich mir einen Augenblick die Hände aufwärmen?   Iris, erstaunt: Ich denke, Sie wohnen hier …?   Harald: Tue ich. Da drüben … zweiter Stock … Aber da ist es auch hundekalt … Ich war ein paar Monate nicht zu Hause.   Iris: Wenn es so ist … Kommen Sie!   Sie stellen sich an den Wärmeofen, reiben sich die Hände.   Iris: Und wo waren Sie? Nach Südsee sehen Sie nicht aus!   Harald: Nordsee! Vor Norwegen … Im Ekofisk-Feld, falls Ihnen das etwas sagt ...   Iris: Sicher! Eins der größten Erdölfelder der Welt ….   Harald, erstaunt: War es mal! In der Zwischenzeit ist es sehr ausgebeutet, aber wenn man was findet, findet man sehr hochwertiges Öl.   Iris: Ja, extrem schwefelarm.   Harald, etwas ungläubig: Sind Sie aus der Branche? Haben Sie irgendwas mit Erdöl zu tun?   Iris: Nur als Endverbraucherin!   Harald: Vielleicht darf ich mich mal vorstellen? Harald … Reißmüller … Und Sie sind Frau Schäfer? Habe ich das richtig verstanden?   Iris: Nicht für meine Freunde!   Harald: Und für Ihre Freunde sind Sie …?   Iris: So weit sind wir noch nicht! Nicht zu hurtig, Harald!   Harald: Gut, stellen wir dieses heikle Thema erst mal zurück ... Sie sagen also, der alte Pommerenke liegt im Krankenhaus …?   Iris: So ist es. Und kommt vorerst auch nicht raus! Wenn überhaupt ... Und Sie kommen von einer Ölplattform?   Harald: Von der ›Stena Rome‹, genau gesagt … Das ist eine selbstfahrende Bohrstation! 280 Mann Besatzung!   Iris: Und die drei Köchinnen wollen wir auch nicht vergessen!   Harald, ungläubig: Sie sind doch aus der Branche?!   Iris, beiläufig: Ich hab's mal bei Phoenix gesehen ...   Harald, eifrig: Ja, das war eine interessante Reportage ...   Iris, abwertend: Finden Sie?   Harald, sich verteidigend: Jedenfalls sehr realistisch ...   Iris: Sie müssen es wissen ...   Haraldsucht nach einem Gesprächsthema: Und hier? Wie war das Weihnachtsgeschäft?   Iris: Danke, völlig okay! Sie sehen ja, es ist kaum noch Ware da ...   Harald: Was machen Sie, wenn Sie nicht hier stehen?   Iris: Verschiedenes ...   Harald: Zum Beispiel?   Iris, die nachdenkt: Ich war eine Weile an der Kasse bei Aldi … bei Real auch! Von Natur aus bin ich gelernte Friseuse, aber ich hatte Schwierig­keiten mit den Färbemitteln … Ich habe allergisch reagiert … Der Beruf hat mir total Spaß gemacht. Ich hatte auch sehr nette Kundinnen. Aber es ging nicht, beim besten Willen nicht. Ich musste aufhören … Die Hände sind so angeschwollen ... (Sie deutet Elefantenhände an.)   Harald: Das ist ja grauenhaft …   Iris: Sie sagen es ...   Harald: Und dann? Was haben Sie danach gemacht?   Iris: Eine Weile war ich in der Maggi-Versuchsküche ...   Harald: Als was?   Iris: Versuchskaninchen … Ich habe alles gegessen, was auf den Tisch kam … Das Rezept von der Brokkoli-Suppe haben sie so lange geändert, bis ich zufrieden war … Jedes Mal, wenn ich jetzt im Supermarkt am Regal entlanggehe ...   Harald: Das kann ich mir vorstellen, dass Sie jetzt stolz sind auf Ihre Leistung … Aber in Wirklichkeit sind Sie?   Iris: Ich bin, was ich bin ...   Harald: Und das wäre?   Sie nimmt die Mütze vom Kopf, lässt die Haare flattern.   Iris: Gut, Sie haben mich durchschaut … In Wirklichkeit bin ich natürlich ein Weihnachtsengel im güldenen Haar …   Er sieht sie abwartend an.   Iris: Ich sehe, Sie haben Zweifel ...   Harald, zögernd: Nicht direkt Zweifel ...   Iris, die den Filmtitel englisch ausspricht: Kennen Sie ›Michael‹, den Film mit John Travolta … ?   Harald: Kenne ich, ja …   Iris: Dann wissen Sie, was ich in Wahrheit auf Erden zu tun habe … Den Menschen zum Wohlgefallen!   Harald: Wo haben Sie Ihre Flügel? ›Michael‹ hatte Flügel!   Iris: Das sind wieder mal die typischen Übertreibungen von Hollywood … Wofür brauche ich Flügel?   Harald: Verstehe!   Iris: Und wenn wir schon davon reden, ›Michael‹ hat seine auch nicht gebraucht ...   Harald: Stimmt ... Wenn das so ist, was machen Sie heute Abend?   Iris: Wieso? Was ist heute?   Harald: Heilig Abend! Ich dachte, das hatten wir schon besprochen ...